Karriere & Familie

Hohe Ansprüche und Zukunftsangst: Viele zögern die Entscheidung für ein eigenes Kind hinaus. Manchmal zu lange.
Illustration: Sabrina Müller-Wüsthoff
Illustration: Sabrina Müller-Wüsthoff
Mirko Heinemann Redaktion

Was für eine nervige Wortschöpfung: „Helikopter-Eltern“. Gemeint sind Mütter und Väter, die ihrem Kind alles recht machen, es auf Händen tragen und es damit angeblich in seiner Entwicklung behindern. Heraus sollen dann keine glücklichen Kinder kommen, sondern lebensunfähige, verwöhnte Quälgeister. So weit das Klischee.

Zugegeben: Kindheit heute ist etwas anders als Kindheit vor, sagen wir mal, 30 Jahren. Das fängt schon damit an, dass die Entscheidung für oder gegen Kinder in den Familien gefühlt lockerer ablief als heute. Dass heute Elternschaft vielfach strenger geplant wird als früher, hat mit den gestiegenen Anforderungen zu tun, die sich künftigen Eltern stellen. Aber auch mit deren Ansprüchen an sich und an den jeweiligen Partner oder die Partnerin. In einer Zeit, in der es selbstverständlich sein sollte, dass in einer Partnerschaft Gleichberechtigung herrscht, sollte es auch bei der Rollenverteilung gerecht zugehen.

Die Einstellung zur Aufgabenteilung zwischen den Eltern hat sich in den letzten Jahren geändert. Der Familienreport 2020 des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat leider nicht gerade die aktuellsten Zahlen parat: 2017 lehnten knapp drei Viertel der Deutschen die Aussage ab, dass es die wichtigste Aufgabe einer Frau sei, sich um Haushalt und Familie zu kümmern. Ein Viertel hing also vor vier Jahren noch dem konservativen Rollenmodell an. Wer das viel findet, dem sei die europäische Zahl genannt: Knapp die Hälfte der EU-Bevölkerung findet immer noch, Frauen sollten sich vorrangig um Haushalt und Familie kümmern.

Das gesellschaftliche Klima wandelt sich also, zumindest hierzulande. Dennoch ist die Vereinbarung von Lebensstil und Familie offenbar schwierig. Das zeigt vor allem das steigende Alter der Eltern: 2019 waren Mütter in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30,1 Jahre alt, so das Statistische Bundesamt. Zehn Jahre zuvor lag das Durchschnittsalter noch bei 28,8 Jahren. Die Zahl der Geburten von Müttern über 40 hat sich seit 1990 sogar vervierfacht.

„Erst Karriere, dann Familie“

Über die Gründe wird viel spekuliert. Der Wunsch, vor der Gründung einer Familie Karriere zu machen, ist bei jungen Frauen besonders hoch. „Erst Karriere, dann Familie“, das fanden im August vergangenen Jahres 42 Prozent der Frauen zwischen 18 und 29 Jahren. Das Marktforschungsinstitut Splendid Research hatte 1.004 Frauen nach möglichen Gründen gegen eine Schwangerschaft gefragt. Insgesamt ist der berufliche Erfolg für fast jede vierte Frau in Deutschland ein Grund, das Kinderkriegen zu vertagen. Die meisten davon sind Abiturientinnen oder haben eine Fachhochschulreife. Ab 30 Jahren nimmt der Faktor Karriere rapide ab.

Andere entscheiden sich aus Sorge um die Zukunft gegen Kinder. Jede fünfte kinderlose Frau gab an, aus Furcht vor dem Klimawandel, vor gesellschaftlichen Problemen oder vor Wirtschaftskrisen keine Kinder bekommen zu wollen. Auch die Pandemie leistet ihren Beitrag dazu. So gaben acht Prozent der befragten Frauen ohne Kinder an, aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise keine Kinder zu wollen.

Auch haben viele Paare offenbar das Gefühl, sich ein Kind nicht leisten zu können. In der Splendid-Studie gab ein Drittel der Befragten finanzielle Gründe an: Für 31 Prozent der befragten Frauen ohne Kind waren die hohen Kosten ein Grund, keine Kinder zu bekommen. Selbst von den Frauen, die bereits Mütter waren, gaben 24 Prozent das als Grund gegen ein weiteres Kind an. Hoch war der Anteil ausgerechnet unter den Frauen mit höherer Bildung: Akademikerinnen mit Bachelor-Abschluss ohne Kinder nannten zu 39 Prozent die hohen Kosten als Hindernis.

Wie viel kostet ein Kind?

In einer Studie von 2018 berechnete das Statistische Bundesamt die durchschnittlichen Ausgaben von Eltern mit einem Kind bis zum 18. Geburtstag mit rund 126.000 Euro. Dabei staffeln sich die Kosten in drei Altersgruppen. Bis zum 6. Lebensjahr kommt das Statistische Bundesamt auf Ausgaben von rund 519 Euro pro Monat – bestehend aus Verpflegung, Windeln, Spielzeug, Unterkunft und Kleidung. Die Erstausstattung und eventuelle Betreuungskosten sind hier noch nicht enthalten. Die Baby-Erstausstattung wird mit rund 3.000 Euro beziffert. Die Kosten für einen Krippenplatz liegen bei 400 Euro, Kindergarten bei 250 Euro pro Monat. Die Gebühren sind allerdings regional verschieden.

Die monatlichen Kosten für Anschaffungen steigen dabei mit jedem Lebensjahr des Kindes. Gerade im ersten Lebensjahr profitieren Eltern noch von den vielen Geschenken, Leihgaben und der Unterstützung von Familie und Freunden. Doch spätestens ab der Einschulung müssen Urlaubsreisen, Hobbys und Klassenfahrten finanziert werden. Laut Statistischem Bundesamt kostet ein Schulkind seine Eltern durchschnittlich 604 Euro im Monat. Wenn das Kind studiert, wird es für die Eltern besonders teuer. Kein Wunder, dass sich vor allem Geringverdienerinnen sorgen, diese Kosten nicht stemmen zu können.

Trotzdem: Der Kinderwunsch sollte niemals aus finanziellen Gründen scheitern. Zumal: Wie teuer Kinder wirklich sind, hängt von den Ansprüchen ab. Selbst ohne tonnenschweres SUV oder Kleinbus ist der Nachwuchstransport durchaus zu bewältigen, auch in Sachen Hobbys oder Ausstattung sind die Ausgaben skalierbar. Wenn in Vorstädten gefühlt jeder zweite Garten einen komplett ausgestatteten Spielplatz mit Sandkasten, Baumhaus und Trampolin aufweist, dann fördert das eher die Vereinzelung der Kinder als den Teamgeist, der eher auf öffentlichen Plätzen entsteht. Und Spring- und Turnierreiten ist kostenintensiver als, sagen wir, Volleyball.

Wie gesagt: die Ansprüche steigen. Und bei immer mehr Paaren führt dieses Anheben der Messlatte dazu, dass sie die Entscheidung für ein Kind immer länger hinauszögern. Aber was, wenn es dann nicht (mehr) klappt mit dem Kinderkriegen? In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Für die Erfüllung des Kinderwunsches sind diese Paare auf medizinische Hilfe angewiesen. Wer sie nötig hat, kann Förderung über die Bundesinitiative „Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“ erhalten. Die staatliche Förderung gilt sowohl für Ehepaare als auch nicht verheiratete Paare und umfasst bis zu 50 Prozent des Eigenanteils. Wie hoch die Förderungssumme jedoch genau ist und wie viele Behandlungen gefördert werden, hängt von den Förderkriterien des jeweiligen Bundeslandes ab.

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