Verkehr will gelernt sein

Die Sicherheit der Kinder im Straßenverkehr hat sich verbessert. Aber immer noch haben Verkehrsplaner die Bedürfnisse der Kleinen zu wenig im Blick.
Illustration: Sabrina Müller-Wüsthoff
Illustration: Sabrina Müller-Wüsthoff
Kai Kolwitz Redaktion

Das Mädchen ist vielleicht fünf Jahre alt. Mit seinem Kinderrad steht es haarscharf an der Kante der Mittelinsel einer sechsspurigen Straße. Zentimeter entfernt rauscht der Autoverkehr vorbei. Immer wieder rollt die Kleine ein kleines Stück vor, so dass das Vorderrad ein kleines Stück in die Fahrbahn ragt.

Solche Szenen machen schon beim Zuschauen nervös. Und sie zeigen: Oft scheinen Kinder und das System Stadtverkehr einfach nicht kompatibel. Zum einen reagieren Kinder sensibler auf Schadstoffe in der Luft, zum anderen sind sie häufig mit der Geschwindigkeit des Verkehrs und den vielen Entscheidungen überfordert.

Die gute Nachricht dabei: Für Kinder ist die Gefahr, im Verkehr umzukommen, in den vergangenen Jahrzehnten massiv gesunken. „2019 starben 55 Kinder und Jugendliche zwischen null und 15 Jahren im Straßenverkehr, während es 1990 noch weit über 500 waren“, so Heiner Sothmann von der Deutschen Verkehrswacht. Für viele Eltern fühlt sich das allerdings anders an – und entsprechend treffen sie ihre Entscheidungen. Während es früher auch in Großstädten gang und gäbe war, dass Kinder ihren Weg zur Schule allein antraten, wird heute der Nachwuchs häufig per Fahrzeug zum Unterricht eskortiert. Das Paradoxon: Rund um die Schulen werden die in zweiter Spur haltenden, wendenden oder rangierenden Autos von Eltern zum Problem für die Kinder, die dort zu Fuß oder per Rad unterwegs sind.

„Manchmal geht es eben nicht anders“, kommentiert das Siegfried Brockmann, der Leiter der Unfallforschung der Versicherer – auch wenn er sich wünscht, dass, wo möglich, darauf verzichtet wird. „Manchmal“, damit meint er, dass nicht jedes Kind aufgrund von Alter oder Fähigkeiten in der Lage ist, den Weg zur Schule gefahrlos zu meistern. Brockmann rät Eltern, ihren Kindern immer mal wieder die Verantwortung für Entscheidungen auf Wegen in der Stadt zu übertragen, aber so, dass der Erwachsene noch eingreifen kann. So bekommen sie ein Gefühl dafür, ob sie dem Nachwuchs den Schulweg schon alleine zutrauen können.  

Oder: Sich dafür einzusetzen, dass diese Gefahrenpunkte entschärft werden. Wo viele Kinder eine Straße überqueren müssen, etwa an Schulen, müssen Querungshilfen her. Außerdem sind Sichtbeziehungen für Kinder ein Riesenthema: Hecken, Sträucher, parkende Autos oder enge Bebauung schränken die Sicht ein.

Außerdem sind sich alle Fachleute darüber einig, dass ein Tempolimit von 30 km/h in Sachen Sicherheit viel bringen würde. Da der Bremsweg mit dem Quadrat der Geschwindigkeit steigt und auch noch eine Reaktionszeit obendrauf kommt, steht bei Tempo 30 der Wagen schon, wenn der Fahrer bei 50 Stundenkilometern den Fuß noch gar nicht auf dem Pedal hat, rechnet Brockmann vor. Viele Autofahrer machen sich das nicht bewusst, wenn sie zentimeternah und zügig an einer vollen Mittelinsel voller Kinder vorbeiziehen.

In einem nimmt Brockmann allerdings auch noch Kinder und Eltern in die Pflicht: „Motorische Defizite sind ein Riesenproblem“, sagt er.  Viele Kinder bewegen sich zu wenig, zum Tragen kommt das vor allem bei Unfällen von Kindern mit Fahrrad, Scooter oder ähnlichen Fortbewegungsmitteln. Denn Dinge wie Schulterblick, einhändiges Fahren und ähnliches erfordern ein Maß an Körpergefühl und Koordination, das viele Kinder nach seinen Beobachtungen heute nicht mehr haben.

„Mobilität muss gelernt werden“, erklärt er. Das möchte er als Ermutigung für Eltern und Kinder verstanden wissen. Denn auch die Kleinen können sicher durch den Stadtverkehr kommen, mit Rücksicht auf Alter und Entwicklungsstand. Es braucht nur ein bisschen Übung.

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