Die App auf Rezept

Es ist ein Novum über Deutschland hinaus: Im August sollen Ärztinnen und Ärzte zum ersten Mal digitale Gesundheitsanwendungen per Rezept verordnen können.
Illustration: Malcolm Fisher
Philipp Grätzel Redaktion

Gegen Kopfschmerzen helfen nicht nur Schmerztabletten. Elektronische Kopfschmerztagebücher, die beim Umgang mit den Symptomen unterstützen und dem Arzt wichtige Informationen liefern, sind für viele Patienten ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Auch bei Gelenkbeschwerden können digitale Tools segensreich sein: Wenn die Krankengymnastik erweitert wird durch eine Heim-Physiotherapie mit Übungen am Tablet-PC und gleichzeitig Symptome und Lebensqualität regelmäßig erfasst werden, dann hilft das sowohl den Betroffenen als auch den betreuenden Ärzt*innen und Therapeuten.


Bisher gab es aber ein Problem: Außerhalb einiger weniger spezieller Versorgungsverträge einzelner Krankenkassen waren solche „digitalen Gesundheitsanwendungen“, kurz DiGA, im deutschen Gesundheitswesen nicht abrechenbar. Auch international gibt es bisher praktisch keine Gesundheitssysteme, die medizinische Apps regulär erstatten würden. Das soll sich ändern: In Deutschland wurden mit dem Ende Dezember 2019 verabschiedeten Digitale Versorgung Gesetz (DVG) dafür die Grundlagen gelegt. Und jetzt trat auch die im DVG angelegte Rechtsverordnung in Kraft, die die neue „App auf Rezept“ im Detail regelt.


DVG und Rechtsverordnung bringen einen komplett neuen Weg in die Krankenkassenerstattung, der sich von dem, was zum Beispiel bei Medikamenten üblich ist, fundamental unterschiedet. Neue Medikamente werden von den Arzneimittelbehörden zugelassen und sind dann in Deutschland sofort einsetzbar. Den endgültigen Preis verhandeln die Krankenkassen mit den Herstellern im Rahmen einer „Nutzenbewertung“, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) organisiert wird, dem wichtigsten und einflussreichsten Gremium im deutschen Gesundheitswesen.


Das GBA-Verfahren funktioniert gut für Arzneimittel. Es funktioniert weniger gut für technische Diagnose- und Therapieverfahren, bei denen sich GBA-Entscheidungen teils Jahre hinziehen. Um das zu vermeiden, hat sich die Politik bei DiGAs mit niedrigem Risiko – Medizinprodukte der Klassen I und IIa – für einen Weg in die Erstattung entschieden, der den GBA umgeht. Wer als Digital Health Unternehmen künftig eine App oder Online-Anwendung in die Regelversorgung des deutschen Gesundheitswesens bringen möchte, kann sie auf eine neue Liste setzen lassen, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt wird. Jede DiGA, die dort auftaucht, darf von Ärztinnen und Ärzten regulär verordnet werden und wird dann erstattet. Auch Krankenkassen können ihren Versicherten DiGAs empfehlen. Charmant aus Sicht der verordnenden Ärzte ist, dass auch sie ein Honorar erhalten, wenn ein Zusatzaufwand entsteht.


Anträge für die BfArM-Liste können bereits gestellt werden. Das BfArM habe dann drei Monate Zeit, um über die Aufnahme auf die DiGA-Liste zu entscheiden, sagte Sophie Matenaar vom Bundesministerium für Gesundheit beim DiGA Summit des Health Innovation Hub. Das Innovative an der BfArM-Liste ist, dass die gelisteten Anwendungen ihren Nutzen im ersten Jahr der Erstattung sozusagen im Echtbetrieb nachweisen können. Sie müssen also, von diagnostischen Anwendungen abgesehen, nicht vorher schon Studiendaten vorlegen. Über eine endgültige Aufnahme in die BfArM-Liste und über den endgültigen Erstattungsbetrag wird nach einem Jahr entschieden, wenn die Ergebnisse der Probephase vorliegen.


Die Krankenkassen sehen die „App auf Rezept“ mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Grundsätzlich gebe es bei den Kostenträgern breite Unterstützung für die Erstattung von DiGAs, sagte Stefanie Stoff-Ahnis vom GKV-Spitzenverband. Sie warnte aber davor, mit einem zu einfachen Weg in die Erstattung eine digitale Goldgräberstimmung zu erzeugen: „Es muss immer darum gehen, die Versorgung der Versicherten ganz konkret zu verbessern.“

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