Vom Säbelzahntiger zum Mikrobiom

Die Erforschung des menschlichen Darms hat eine lange Geschichte. Eine Bestandsaufnahme.
Illustration: Maria Martin
Illustration: Maria Martin
Sabine Philipp Redaktion

Wie in so vielen Fällen spielt auch bei Darmbeschwerden unser Erbe aus der Urzeit eine wichtige Rolle. „Wenn ein Säbelzahntiger um die Ecke kam, mussten wir ganz schnell weglaufen“, erklärt Dr. Siegfried Heuer, Inhaber des Gastroenterologischen Zentrums Dr. Heuer in Bielefeld. Damals sei vor allem wichtig gewesen, dass das Herz schnell das Blut durch den Körper pumpt, damit man schnell rennen konnte. Die Verdauung wurde nicht gebraucht. „Deshalb wurde sie heruntergefahren, und der Darm hat seine Tätigkeit verlangsamt“, so der Facharzt für Innere Medizin. Heute gibt es keine Säbelzahntiger mehr, dafür andere Stressfaktoren, auf die der Darm reagiert. Und das kann zu Verstopfungen, Blähungen und Völlegefühl führen. 


Die Nahrung wird im Dünndarm verdaut. In dem fünf bis sechs Meter langen schlauchartigen Organ werden die Nährstoffe aus dem Speisebrei extrahiert und in den Körper aufgenommen. Im Dickdarm, der etwa ein Meter lang ist, wird dem Brei die Flüssigkeit entzogen. Anschließend wird er ausgeschieden.

 

Krebsvorsorge dringend empfohlen

 

Um den Darm gesund zu halten, empfiehlt Heuer auf Nikotin zu verzichten, möglichst wenig rotes Fleisch und wenig Alkohol zu konsumieren, eine ballaststoffreiche Diät mit viel Gemüse und Salat zu halten sowie sich ausreichend zu bewegen. Ebenso rät er, unbedingt die Darmspiegelung zur Krebsvorsorge wahrzunehmen. Männer haben ab dem 50. und Frauen ab dem 55. Lebensjahr einen Anspruch. Patienten, bei denen ein erhöhtes Risiko besteht, etwa weil es in der Familie schon Fälle gab, können sich schon vorher untersuchen lassen.


Die Darmspiegelung findet im Dickdarm statt, wo auch der Darmkrebs entstehen kann. Sie dauert etwa 20 Minuten. Der Patient erhält zuvor eine leichte Schlafspritze. „Wenn wir Polypen, also die Vorform von Darmkrebs finden, können wir sie gleich entfernen“, so Heuer. 58.000 Darmkrebs-Neuerkrankungen und 24.000 Todesfälle gibt es jedes Jahr. Durch konsequente Vorsorge könnten viele vermieden werden.

 

Leitlinien flankieren die Diagnose

 

In den meisten Fällen ist nicht klar, was die Beschwerden auslöst. Aus diesem Grund gehen die Mediziner bei der Diagnose nach den Leitlinien vor, das heißt, sie führen systematisch aufeinander abgestimmte Untersuchungen durch. Dazu gehört eine Abtastung des Darms, eine Ultraschalluntersuchung des Bauches sowie ein Atemtest, der nachweist, wie der Körper Milch- und Fruchtzucker aus der Nahrung verarbeitet.


Heuer rät, immer dann einen Arzt aufzusuchen, wenn die Beschwerden länger als vier Wochen andauern und wenn Alarmzeichen auftreten, etwa Blut im Stuhl.


Ursächlich können dafür chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa sein. Dabei handelt es sich um eine Entzündung der Darmschleimhaut, was zu meist schubweisen Bauchschmerzen und Durchfall führt. Bundesweit leiden etwa 450.000 Patienten an solchen Erkrankungen. Darüber hinaus können durch eine Darmspiegelung Polypen oder Tumore ausgeschlossen werden.

 

Das Mikrobiom im Blickpunkt

 

Bei der Erforschung der Darmerkrankungen ist zuletzt auch das Darmmikrobiom in den Fokus gerückt. Mit diesem Überbegriff werden die Bakterien und die anderen Mikroorganismen bezeichnet, die sich im Dickdarm angesiedelt haben. Es bringt etwa drei Kilo auf die Waage und wird in den ersten Lebensjahren aufgebaut. Von der Erforschung des Mikrobioms erhofft sich die Medizin neue Erkenntnisse zu Darmerkrankungen.


 Dabei gibt es jedoch ein großes Problem: „Wir können noch nicht genau sagen, wie ein normales und wie ein krankes Mikrobiom aussieht“, erklärt Prof. Dr. Joachim Labenz, Direktor der Abteilung für Innere Medizin im Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen. So wie jeder Mensch einen anderen Fingerabdruck habe, unterscheide sich auch das Mikrobiom. Eine weitere Frage, die sich bei der Forschung stellt, ist, wie und an welcher Stelle das Mikrobiom untersucht werden soll? Denn es erstreckt sich von der Mundhöhle bis hinunter zum Darmausgang. Dabei unterscheidet sich die Zusammensetzung in allen Abschnitten.  


„Mikrobiom-Forschung ist im Wesentlichen assoziativ", erklärt der Gastroenterologe und Internist. Die Forscher schauen, ob es Zusammenhänge gibt und untersuchen anschließend, ob sich die Vermutungen erhärten lassen. Das kann beispielsweise geschehen, indem man bei Probanden Stuhl transplantiert und kontrolliert, ob es einen Therapieerfolg gibt. Allerdings wurden solche Studien noch zu selten durchgeführt, und die Ergebnisse waren mitunter widersprüchlich.


„Die Stuhltransplantation als Therapieform ist nur bei einer Clostridioides-Infektion im Darm wissenschaftlich etabliert“, erläutert Labenz. Clostridioides sind Darmbakterien, die Giftstoffe bilden können, die dann zu schweren, bis hin zu lebensbedrohlichen Darmentzündungen führen können. Die Erkrankung wird durch eine Stuhlprobe diagnostiziert. Die Erreger können jahrelang inaktiv im Körper schlummern.


Ein Auslöser für ihre Aktivierung kann beispielsweise eine Antibiotika-Behandlung sein. Das Diakonie-Klinikum Jung-Stilling behandelt jedes Jahr etwa 100 Fälle. Bei einer Behandlung mittels Stuhltransplantation wird zuvor eine antibiotische Vorbehandlung durchgeführt, um das körpereigene Mikrobiom herunterzufahren. Anschließend wird der Fremdstuhl in einer Kapsel geschluckt oder direkt in den Dickdarm eingebracht.


Auch wenn bei Clostridioides-Infektionen Erfolge zu vermelden sind, warnt Labenz vor allzu großem Optimismus. Und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass es auch zu negativen Effekten kommen kann. Denn es könnten ja auch Stoffe übertragen werden, die dem Körper Schaden zufügen. In Deutschland sind Stuhlübertragungen aus diesem Grund streng reglementiert. „Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Die Forschung wird in die Richtung gehen, dass man versucht herauszufinden, welche Bakterien für den Therapieeffekt entscheidend sind, und sie dann in gereinigter Form in den Darm überträgt.“

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